Es gibt kaum noch eine Stadt oder ein Dorf in unserem Land, dass sich nicht mit hilfesuchenden Menschen konfrontiert sieht. Sie sind auf der Flucht. Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit führen sie zu uns. „Flüchtlinge" werden sie genannt und ihr Ruf nach „Hilfe" stellt ganz Europa vor eine Bewährungsprobe. Hetzkampagnen einer demokratisch gewählten Partei (AFD), die einen Schießbefehl an der Grenze legitimieren, oder Äußerungen der PEGIDA, die unseren Bundesjustizminister mit Joseph Goebbels vergleichen, sogar ihr Bedauern offenlegen, dass es keine Konzentrationslager mehr gibt, machen es unumgänglich, dass sich Menschen stark machen, für ein friedliches Miteinander in unserem Land und unserer Welt.

2015-11-10 auschwitzfahrt01Eine Fahrt in die Vergangenheit und doch war die „Wirklichkeit“ so nahe.

Das Ev. Jugendzentrum Baumholder stellte sich in diesem Jahr gemeinsam mit dem Ev. Jugendcafé Kirn dieser Problematik. An fünf Abenden machten sich 15 Teilnehmer im Alter von 15 – 63 Jahren auf einen Weg in die Vergangenheit.

Was geschah in Deutschland im Jahre 1933?
Wie gestaltete sich bis dahin das Zusammenleben zwischen Christen und Juden?
Was verstand der Nationalsozialismus unter der Endlösung der Judenfrage?

Antworten auf diese Fragen fand die Gruppe u.a. an historischen Orten in Kirn oder aber durch den Zeitzeugen Heinz Hesdörffer (92 Jahre), der den Holocaust als einziger seiner Familie überlebt hatte und sich heute mit jungen Menschen austauscht und versucht, sie zu sensibilisieren, Unrecht, Fremdenhass und Antisemitismus bereits in ihren Anfängen zu erkennen. Hierzu hat er einen Verein gegründet, das „Bildungswerk Heinz Hesdörffer e.V.".

Während den Vorbereitungsabenden wurde der Gruppe immer wieder vor Augen geführt, wie aktuell ihre Zeitreise in die Vergangenheit heute ist. Fremdenfeindliche Übergriffe, Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund nehmen besorgniserregend zu.

Über Görlitz nach Polen

Gruppenfoto vor der „Alten Herberge Ephrahim" in GörlitzGruppenfoto vor der „Alten Herberge Ephrahim" in Görlitz

In den Herbstferien machte sich die Studiengruppe auf den Weg nach Oświęcim in Polen. In dieser Stadt mit 40.000 Einwohnern liegt das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Auf dem Weg nach Polen machte die Gruppe zunächst für 2 Nächte in Görlitz/Zgorzelec Halt. Auf den Spuren jüdischen Lebens erkundete die Gruppe die Stadt.

Mit viel Liebe und Herzblut wird schon seit einigen Jahren die ehemalige Synagoge der Stadt restauriert, auch der jüdische Friedhof bekam anlässlich des 70. Jahrestages „Befreiung Auschwitz" eine Neugestaltung, wo den Opfern des Holocaust gedacht wird. Görlitz hatte selbst ein KZ: Biesnitzer Grund. Nur wenige wissen davon und heute befindet sich auf diesem Gelände eine Gartenanlage für umliegende Anwohner.

Auf polnischer Seite besuchte die Gruppe das STALAG VIIIa. Dieses Stammlager diente bereits ab August 1939 als Lager für Kriegsgefangene. Man geht heute davon aus, dass auf diesem Gelände ca. 120.000 Menschen unter unwürdigsten
Bedingungen leben mussten.

Konzentrationslager Auschwitz

2015-11-10 auschwitzfahrt03Aufmerksam folgte die Gruppe den Schilderungen des polnischen Begleiters Wiesław Świderski

Nachh dem sich die Studiengruppe mit der Geschichte der Stadt Görlitz auseinandergesetzt hatte, fuhr sie weiter nach Oświęcim. Untergebracht im „Zentrum für Dialog und Gebet" machte sie sich auf den Weg, das Unfassbare zu begreifen.

Über 4 Stunden dauerte die Führung im Stammlager I des Konzentrationslagers Auschwitz. Der Weg durch das Gefängnis schlängelte sich von Baracke zu Baracke.

Schnell wurde der Gruppe klar, dass das kein gewöhnliches Gefängnis war. Die Häftlinge wurden mit dem Satz begrüßt: „Hier kommt ihr durch das Tor rein und geht durch den Schornstein wieder raus!" Stehzelle, Todesbunker, Erschießungswand, Massengalgen waren nur einige Orte, die den Atem im Halse stecken ließen. Doch was sind Orte des Grauens ohne Geschichten von Menschen, die dort inhaftiert waren?

Nachdenklich und mit Traurigkeit erfüllt, versuchte die Gruppe dann am Nachmittag, sich der Geschichte der Stadt Oświęcim zu nähern. Bis zum Krieg waren zeitweise über 50 % der Bewohner Juden. Ein friedliches Miteinander hatte dies ermöglicht, bis der Krieg kam. Der jüdische Friedhof wurde von den Nazis zerstört und die Grabsteine zum Straßenbau verwendet.

 

2015-11-10 auschwitzfahrt04Hunderte Koffer von Kindern und Erwachsenen, die auf ein Leben in einer neuen Heimat hofften. Jeder Koffer hat eine eigene Geschichte!

Vernichtungslager Birkenau

Am nächsten Tag ging es nach Birkenau, dem Vernichtungslager. Wer dachte, es könne nicht schlimmer kommen als der Besuch im Stammlager I wurde eines Besseren belehrt. Die Studiengruppe betrat ein Gelände für 100.000 Häftlinge. Vieles wurde von den Nazis zerstört, doch was geblieben ist, ließ die Gruppe nicht mehr los. Mehr als 1,1 Millionen Menschen wurden in Auschwitz umgebracht, Kinder, Frauen, Alte...

Ein Besuch in der „Kinderbaracke" löste Entsetzen aus. Da waren die Geschichten, die sich in dieser Baracke abgespielt haben.
Da waren aber auch Namen, Daten in die Wand geritzt: Besucherinnen und Besucher haben sich wie im Urlaub in der weichen Lehmwand verewigt. Liebeserklärungen, Namen, Daten, Namen von Fußballvereinen u.v.m. zeigten auf, mit welcher Respektlosigkeit und Gleichgültigkeit, Menschen diesen Ort des Grauens begegnen. Die Gruppe gedachte gegen Ende der auch 4stündigen Führung am Mahnmal in Birkenau den Opfern. Der Ort des
Mahnmals wurde bewusst gewählt. Es steht zwischen den Gaskammern 2 und 3 in denen jeweils bis zu 2000 Menschen umgebracht wurden.

Oświęcim mehr ist als Auschwitz

Der Nachmittag führte die Gruppe auf eine Rundreise durch die Stadt. Wo wohnten die Verantwortlichen des Lagers? Wo wohnte der Lagerkommandant Rudolf Höß oder der KZ-Arzt Dr. Mengele? Wo war die SS untergebracht? Viele Orte der Geschichte hatte die Gruppe gesehen, auch die letzten Reste von Auschwitz III – Monowitz und die ehemaligen Buna-Werke.

Doch wie leben die Menschen heute in Oświęcim? Wie lebt es sich in einer Stadt, die jedes Jahr von 1,5 Millionen Menschen aufgesucht wird – nicht wegen der wunderschönen Stadt, sondern fast ausschließlich wegen ihrer Vergangenheit, dem KZ Auschwitz! Die Studiengruppe erhielt auch hier einen Einblick. Sie besichtigte das Eislaufcenter, die Kulturhalle, die städtische Bibliothek u.v.m. Am Ende stellte die Gruppe fest, dass Oświęcim mehr ist als Auschwitz!

Abends wurde in der Gruppe über das Erlebte gesprochen, gesungen, gebetet und nachgedacht. Niemand musste alleine mit seinen Gedanken bleiben. Und nach so vielen Eindrücken musste die Gruppe auch mal abschalten können.

Auf den Spuren von „Schindlers Liste"

Eine Fahrt nach Krakau rundete den Besuch in Polen ab. Auch diese Stadt ließ erkennen, wie Juden und Christen miteinander leben konnten. Auf den Spuren von „Schindlers Liste" suchte die Gruppe original Drehorte auf. Aber nicht nur die Geschichte Krakaus ist interessant: Viel ist zu sehen und zu bestaunen. Krakau ist eine Reise wert!

Die letzte Nacht der Studienfahrt verbrachte die Gruppe in Dresden. Ein symbolischer Ort des Weltfriedens mit der wiedererbauten Frauenkirche. An diesem Ort konnte die Gruppe in aller Ruhe das Erlebte hinter sich lassen, jedoch nicht vergessen!

Im kommenden Jahr wird diese Studienfahrt in den Herbstferien vom Ev. Jugendzentrum Baumholder in Kooperation mit einer anderen Kirchengemeinde nochmals angeboten. Schon heute können sich interessierte Menschen ab 16 Jahre für diese Fahrt im Ev. Jugendzentrum bei Andreas Duhrmann anmelden. Die Kosten für Jugendliche bis einschließlich 27 Jahre belaufen sich auf 80,-- Euro und für ältere jung gebliebene Menschen 270,-- Euro. Termin: 08.10.16 – 15.10.16

Jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan und Pakistan waren auch in unserer Jugendherberge „Rudi Arndt". Schnell haben wir miteinander Kontakt aufgenommen und uns kennengelernt. Wir haben gesungen, gespielt und gelacht – aber auch gehört, was sie in ihrem Heimatland erlebt haben. An diesem letzten Abend wurde allen bewusst, wie wichtig unsere Studienfahrt nach Auschwitz war!

Aus der Erinnerung wächst Verantwortung

Was bleibt sind Erinnerungen, die jedem helfen, sich hier in Baumholder oder in Kirn für ein friedliches Miteinander einzusetzen.
Was bleibt sind nachdenkliche Worte von Pater Manfred Deselaers:
„Lasst uns die Opfer ernst nehmen!"
„Die spirituelle Kraft von Auschwitz ist die Unruhe!"
„Was muss passieren, dass ich Widerstand leiste?"
Was bleibt, ist aber auch eine Gruppe von 15 unterschiedlichen Menschen, die an 8 Tagen viel gemeinsam erlebt, geteilt und sich untereinander gestützt hat. Menschen, die zu Hause von ihrem Erlebten erzählen wollen und nicht vergessen wollen, was sie erlebt haben. Menschen, die Verantwortung für ihre Zukunft angenommen haben.

Stimmen aus der Gruppe

„Wir sind die letzte Generation, die mit Zeitzeugen des Holocaust ins Gespräch kommen kann. Daraus entspringt eine
Verantwortung – nicht für das Geschehene – sondern, dass die Geschichten der Opfer nicht verloren gehen. Jeder dieser Zeugen hatte Träume, Hoffnungen, Familien, Zukunftspläne – doch für die allermeisten der Betroffenen endete das Leben jäh in Auschwitz oder in einem anderen KZ oder Vernichtungslager. Entweder waren sie auf dem direkten Weg in die Gaskammern oder durchlebten ein Leben schlimmer wie es in jedem Albtraum vorstellbar ist. In Anbetracht dessen müssen wir die Verantwortung in uns tragen, dass solch eine Gräueltat nicht mehr in
unserer Welt passiert, und dass wir uns für globalen Frieden und Nächstenliebe einsetzen."
Christoph Spohn (19 Jahre)

 

"Mich hat die Fahrt auf jeden Fall weitergebracht. Ich werde Dinge nun aus einem anderen Blickwinkel betrachten und
ich finde, dass man einmal dort gewesen sein sollte. Jedoch ist es auch so, wie Pater Manfred Deselaers sagte: Je mehr man sieht umso weniger versteht man."
Yvonne Müller (18 Jahre)

 

„Gegen das Vergessen war das Motto unserer Fahrt. Wir haben festgestellt, wie wichtig es ist, die Erinnerung an die NS-Herrschaft und den Holocaust weiterzutragen und daraus etwas zu lernen. Gerade zur heutigen politischen Situation in Europa konnten wir Verbindungen ziehen. Auch nach 70 Jahren ist Antisemitismus in der Bevölkerung verbreitet und manche sehnen sich gar nach einem Führer, der das Land durch die Krise steuert. Wir Jugendlichen tragen die Verantwortung, eine neue Diktatur in Deutschland nie mehr zuzulassen."
Tobias Rech (18 Jahre)