Die Vorbereitungen zu dieser außergewöhnlichen Fahrt begannen schon im Juni dieses Jahres. Ein Zeitzeugengespräch in Frankfurt mit Heinz Hesdörffer hat sich im Juli angeschlossen. Letzte Absprachen traf die Gruppe dann im September im Jugendzentrum.

Görlitz

Die Gruppe (11 Jugendliche und 6 Erwachsene) fuhr zunächst mit zwei Kleinbussen nach Görlitz. Dort wurde ihr schnell bewusst, dass der Krieg vor über 70 Jahren bis heute seine Spuren hinterlassen hat. Görlitz – eine Stadt der Gegensätze. Da ist das bunte, farbenfrohe Görlitz mit herrlich, restaurierten Häusern in der Altstadt. Fährt man jedoch über den Grenzfluss „Neiße“ in die andere Hälfte der geteilten Stadt, nach Zgorzelec, erwarten einen andere Bilder. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Der Krieg hat seine Spuren hinterlassen.

So besuchte die Gruppe STALAG 8A. Die Kommandantur des Kriegsgefangenenlagers wurde bereits im August 1939 in Betrieb genommen, also kurz vor dem Einmarsch der Deutschen in Polen. Schnell wurde deutlich, wie akribisch der Krieg vorbereitet wurde. Weitere Spuren des Krieges wurden in der Synagoge in Görlitz sichtbar. Der Gruppe erschloss sich ein wunderbares Bild. Eine renovierte Synagoge kurz vor ihrer Fertigstellung präsentierte sich von ihrer schönsten Seite. „Das war nicht immer so“, wusste Klaus Wilmes, ein pensionierter Geschichtslehrer, zu berichten. „Die Renovierung stieß noch vor einigen Jahren auf heftigen Wiederstand. Ein Förderverein nahm sich diesem Gebäude an, das kurz vor dem völligen Verfall stand, und Gott sei Dank fließen heute Bundesmittel.“ In Görlitz lebten zahlreiche Juden vor dem Krieg.

Eine Zeitreise durch die Geschichte ließ erkennen, wann und wie Görlitz „judenfrei“ wurde. Die Gruppe machte sich auf den Weg und besuchte Orte, die mit der jüdischen Geschichte von Görlitz in Verbindung gebracht werden konnte. Darunter gehörte insbesondere das ehemalige Konzentrationslager „Biesnitzer Grund“. Viele Einwohner aus Görlitz wissen nicht, dass in ihrer Stadt ein KZ war. Heute befinden sich Gärten auf dem Gelände.

Birkenau

Dieser Einstieg half der Gruppe, sich langsam dem eigentlichen Thema „Auschwitz“ behutsam zu nähern. Am 3. Tag der Reise erreichten sie Birkenau. Langsam fuhren die Kleinbusse am Stacheldrahtzaun vom Vernichtungslager Birkenau vorbei. Am Einfahrtstor bogen sie links ab und standen kurz danach an der „Alten Judenrampe“, an der die Häftlinge bis 1944 angekommen sind. Nun war die Gruppe dort, worauf sie sich ein halbes Jahr vorbereitet hatte. Schreckliche Szenen spielten sich an diesem Ort ab. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt. Ein Wiedersehen gab es nicht. Riesige Kartoffellager lagen am Rand der Rampe. Ruinen zeugen von der Fülle der vorhandenen Lebensmittel, die doch nicht ausreichten für die vielen Häftlinge.

Sprachlos stieg die Gruppe in ihre Kleinbusse und die Fahrt ging still weiter zur Unterkunft, die gleich neben dem Stammlager I Auschwitz lag. Im „Zentrum für Dialog und Gebet“ war die Gruppe sehr gut untergebracht. Hier konnte sie in den kommenden Tagen ihre Erlebnisse aufarbeiten und sich mit anderen Menschen austauschen. Das war auch wichtig; denn was sie in den kommenden beiden Tagen erfahren musste, konnte nicht so ohne weiteres in Worte gefasst werden. Das Bedürfnis nach Antworten war ganz groß und am Ende waren immer wieder neue Fragen, die die Gruppe beschäftigte.

Viele Kilometer hatte die Gruppe in Auschwitz/Birkenau zu Fuß zurückgelegt. Es war kalt und regnerisch. Der Wind lies einem die Mütze tief ins Gesicht ziehen. Oft dachte die Gruppe an die Häftlinge, die ohne Strümpfe, Mütze und Schal, nur in zerrissener Häftlingskleidung stundenlang im aufgeweichten, knöcheltiefen Morast standen. Unbarmherzig waren die Lebensbedingungen vor Ort, entwürdigend der Umgang, den die Häftlinge erdulden mussten. Sollte ihr Weg nicht sofort in die Gaskammer gehen, so kam es nicht selten vor, dass sie in wenigen Tagen oder Wochen an Erschöpfung starben. Wer 3 Monate am Leben blieb erhielt die Sonderbestimmung „Gaskammer“. Somit erfüllte sich der Satz, mit dem die Häftlinge gleich zu Beginn begrüßt wurden: „Ihr seid durch das Tor hereingekommen und werdet dieses Lager nur durch den Schornstein wieder verlassen!“ Nach dieser eindringlichen Begrüßung mussten die Häftlinge noch einige Schikanen über sich ergehen lassen, bis sie endlich erschöpft ins Bett fielen. Bis zu 16 Menschen teilten sich ein Bett. Es war nicht selten, dass die Stockbetten zusammenbrachen und die darunter liegenden Menschen erdrückten. Baracken, die für 52 Wehrmachtspferde gedacht waren, mussten nun für jeweils 1.000 Häftlingen Platz bieten.

Jeden Abend hat die Gruppe ihre Erlebnisse untereinander ausgetauscht. Es wurde versucht, Antworten auf Fragen zu finden. Hilfe bekam sie z.B. durch Pater Manfred Deselaers. Er wohnt in der Stadt Oświęcim (Auschwitz) und widmet sich dort der deutsch-polnischen und christlich-jüdischen Versöhnungsarbeit. Antworten bekam die Gruppe auch von dem Ehepaar Halina und Wieslaw Świderski. Das pensionierte Deutschlehrerehepaar führt deutsche Gruppen durch Auschwitz und Birkenau. Man spürt ihnen ab, wie wichtig ihnen die Versöhnungs- und Friedensarbeit ist, die von diesen Orten ausgehen. „Es liegt an uns, wie wir mit unserer Verantwortung aus der Geschichte umgehen“, so Wieslaw Świderski.

In der „Kinderbaracke“ wurde deutlich, wie Menschen mit der Geschichte umgehen und noch heute die Würde der Kinder von damals mit Füßen treten. Wo vor über 70 Jahren Kinder ab 2 Jahren auf ihren Tod warteten kratzen heute KZ-Touristen Liebesbotschaften und Fußballvereine in die Steine. Dabei vergessen sie oder wollen nicht wissen, was an diesem Ort geschehen ist. Auf dem Gelände von Birkenau wurden 1.100.000 Menschen ermordet, darunter waren 200.000 Kinder. Dieser Ort des Erinnerns ist gleichzeitig auch ein Ort der Mahnung an alle nachfolgenden Generationen.

Die Toten geben den Lebenden von heute einen Auftrag mit: „Lasst so ein Verbrechen nie wieder zu! Erstickt die Anfänge im Keim und lasst das Licht des Friedens in die Welt ziehen.“ Der Gruppe kamen ganz automatisch Bilder von heute in den Sinn. Da waren Bilder und Worte von der Pegida und politischen Parteien ganz lebendig. Unfassbar zeigt sich doch die Gegenwart, obwohl die Vergangenheit ein Lehrbuch für ein gelingendes Miteinander ist. Hat die Menschheit nach Auschwitz nichts begriffen? Die Studiengruppe ist auf Steinen gelaufen, die noch heute von Unrecht und Entwürdigung erzählen. Und da ist es wieder, der Satz mit der Würde des Menschen im Grundgesetz. Die Würde des Menschen ist unantastbar! Egal welche Hautfarbe, Religion und Geschlecht ein Mensch hat – die Würde darf ihnen nicht genommen werden. Mit dieser Erkenntnis versuchte die Gruppe in Krakau einen Ausstieg aus dem Erlebten, das doch so tief saß.

Krakau

Krakau, eine Stadt, die lebt, die wächst und sehenswert ist. Diese Stadt war vor dem Krieg gefüllt von jüdischem Leben. An originalen Drehorten von „Schindlers Liste“ wurde dieses pulsierende Leben deutlich. Heute leben schätzungsweise noch 140 Juden in der Stadt. Das Grauen von Auschwitz-Birkenau hinter sich lassend, richtete die Gruppe nun ihren Blick nach vorne. Versöhnungs- und Friedensarbeit ist so wichtig wie vor über 70 Jahren. Agnieszka Czernecka führte die Gruppe durch Krakau und am Ende waren sich alle einig: Krakau ist immer eine Reise wert. Diese lebendige Stadtführung mit jüdischer Geschichte und aktuellem Zeitgeist, der durch Studenten und Aufbruchsstimmung geprägt wird, half der Gruppe, sich wieder der Gegenwart zu stellen und an der Zukunft zu arbeiten.

Dresden

Bevor es nach 8 Tagen nach Hause ging, machten die zwei Kleinbusse nochmals Halt in Dresden. Der Wiederaufbau der Frauenkirche zeigte, wie wichtig den Menschen der Weltfriede ist und so war dieser Besuch auch selbstverständlich. In der Unterkirche im Raum der Stille hat jeder für sich nochmals seinen Erinnerungen einen Ort gegeben. Der Austausch am Abend in der Jugendherberge bestätigte die gelungene Fahrt. Neue Freundschaften sind entstanden, Polen als Reiseland wurde entdeckt und das Wichtigste, die Erkenntnis: Aus der Erinnerung wächst Verantwortung!

Zu Hause geht Gedenkarbeit weiter

17 Jugendliche und Erwachsene haben sich selbst eine Studienfahrt geschenkt, die ihr Leben ein Stück verändert hat. Die Erlebnisse und Erkenntnisse möchten sie gerne weitergeben, in der Schule, in der Familie oder bei Freunden. Für sie ist klar, dass es heute genauso wichtig ist wie damals, Position zu beziehen. Dies möchten sie auch gerne am 27. Januar 2017 tun.

Am internationalen Holocaustgedenktag werden sie um 19.00 Uhr in der Ev. Kirche in Baumholder einen Gedenkgottesdienst gestalten. Sie freuen sich schon heute darauf, mit den Besucherinnen und Besuchern anschließend ins Gespräch zu kommen und vielleicht möchte die eine oder der andere 2017 an dieser Studienfahrt teilnehmen.

Die Gruppe hat ein online-Tagebuch geschrieben, das unter gegendasvergessen2016.wordpress.com im Internet aufgerufen werden kann. Ermöglicht wurde diese Fahrt durch die Unterstützung des lokalen Fonds „Kreuznach für Vielfalt“,dem „Bildungswerk Heinz Hesdörffer e.V.“und öffentlicher Zuschüsse.